Das Leiden anderer betrachten: „Come on, let us shoot!“

http://www.collateralmurder.com/

Amy Goodman im Gespräch mit Julian Assange

Es ist perfide über diese Aufnahmen zu schreiben, weil die Gefahr groß ist, diese grausamen Bilder falsch zu interpretieren, voreilige Urteile zu fällen und pauschale Feindbilder zu erschaffen. Jedes Kommentieren der Bilder ist gewollt oder ungewollt ein Beitrag zu einer medialen Unterhaltung, in der ‚Krieg‘ und ‚Mord‘ Schlagworte sind, die Erfolg in einer Aufmerksamkeitsökonomie versprechen.

Nichts ist bequemer und moralisch befriedigender, als eine kontroverse politische oder wissenschaftliche Diskussion über dieses Material aus sicherer Entfernung zu führen. Ein Einklinken in das kurzfristige Aufmerksamkeitshoch, das von der politischen Brisanz und menschlichen Grausamkeit der Aufnahmen genährt wird, widerspricht einer kritischen und vor allem selbstkritischen Auseinandersetzung mit Schuld im Krieg. Dennoch müssen Geistes- und Sozialwissenschaften zu dieser Diskussion etwas sagen, weil in ihr die Haltung der Gesellschaft zu Gewalt, Krieg und Militär ausgehandelt wird. Es geht darum zu verhindern, dass Gewalt, egal von wem sie ausgeht, als Konfliktlösung interpretiert und gerechtfertigt wird.

Dabei ist es nicht möglich, dieses Video zu diskutieren, ohne sich selbst Voyeurismus und Anmaßung vorzuwerfen und die eigene Interpretation kritisch zu hinterfragen. Aber genau das geschieht zu selten, wenn Schüsse mit Schlagzeilen reflexiert werden. Dahinter verbirgt sich die große Gefahr einer einseitigen und verkürzten Interpretation eines Krieges, die lediglich eine politische Agenda unterstützt aber wichtige Probleme übersieht. Zum Beispiel die Frage, die sich stellen muss, wer die Aufnahmen der Bordkamera gesehen hat: Was hat das mit mir zu tun?

Was kann über die gesagt werden, die das „Leiden anderer betrachten“ (S.Sontag) und das Verhalten ihrer Peiniger interpretieren und verurteilen?

Ich denke, die Aufnahmen sind Teil eines ganzen Netzes von verurteilenden Interpretationen.

George Bush und seine Regierung haben den Irak als Bedrohung für die westliche Welt interpretiert und daraufhin den Irak und die U.S.A. zu einem Krieg verurteilt. In den Aufnahmen der Bordkanone interpretieren die Soldaten die Menschen am Boden als bewaffnete Teilnehmer in einem Gefecht und verurteilen sie mit einem Angriff aus der Luft. Medien interpretieren das Verhalten der Hubschrauberbesatzungen entweder im Kontext eines ’normalen Kriegsalltags‘ (NRB) oder eines ‚unmenschlichen Gewaltexzesses‘ (JW). Die U.S. Soldaten werden entsprechend entweder als ordentlich reagierende Militärs oder als skrupellose Mörder verurteilt. Mit einiger Sicherheit werden diese Interpretationen illegitim verallgemeinert und das Verhalten und ‚die Mentalität der Amerikaner‘ wird als ‚feige‘, ‚imperialistisch‘ oder ‚aggressiv‘ verurteilt.
Hauptsächlich wird eine editierte, 17 minütige Videoaufnahme diskutiert. Den Aufnahmen der Bordkamera wurden mit Zugabe von Texten, Fotos, Pfeilen, Untertiteln, Vergroesserungen, Wiederholungen und Schnitten dramaturgisch bearbeitet. Im Abspann werden jeweils ein creative director, story development, visual editor und producer genannt, die das Material dramaturgisch bearbeitet haben. Besonders deutlich ist die wiederholte Szene ab 00:15:54. Ein Mann öffnet die seitliche Schiebetür des Autos, mit welchem mindestens ein Verwundeter abtransportiert werden soll. Ein digitaler Zoom fasst die Rettungsaktion näher, als im Material davor. Zwei Pfeile und ein Hinweis, dass sich in dem Auto zwei Kinder befinden erscheinen. Funkspruch: „I try to get permission to engage, come on let us shoot“. Zwei Männer nehmen den Verletzten vom Gehweg auf. Sie tragen ihn vorn um das Auto herum in Richtung der offenen Tür. Beim sehen ist sofort antizipierbar was folgt: die tödlichen Schüsse aus den Hubschraubern durchschlagen das Auto in dem die Kinder sitzen. Diese antizipierte Zoom-Einstellung der einschlagenden Kugeln lässt ein grauenhaftes Bild vor dem inneren Auge entstehen. Doch statt der Schüsse folgt eine Schwarzblende und ein Zitat von Ahmad Sahib.

Das heißt, das Material wurde in verschiedener Hinsicht editiert und ihm wurde eine Aussage eingeschrieben, es wurde also auf die Verbreitung und Interpretation im Internet vorbereitet. Erreicht WikiLeaks damit eine wirkungsreiche, notwendige Berichterstattung, die das etablierte Mediensystem nicht gewährleistet? Das Medium ist die Botschaft. (Marshall McLuhan)

Susan Sontag schreibt in Das Leiden anderer betrachten:

„Das Fernsehen, dessen Zugang zum Schauplatz durch staatliche Kontrolle und Selbstzensur beschränkt ist, serviert den Krieg in Gestalt von Bildern. Aber auch der Krieg selbst wird soweit wie möglich aus der Distanz geführt – durch Bombenangriffe, deren Ziele dank der neuen Technologien zur blitzschnellen Informations- und Bildverarbeitung auf einem anderen Erdteil ausgewählt werden können: Die täglichen Bomberoperationen in Afghanistan Ende 2001 und Anfang 2002 wurden vom amerikanischen Central Command in Tampa, Florida, gesteuert. Das Ziel besteht darin, dem Feind hinreichend schmerzhafte Verluste zuzufügen und gleichzeitig seine Möglichkeiten zu minimieren, den eigenen Kräften überhaupt Verluste zuzufügen; amerikanische und verbündete Soldaten, die bei Fahrzeugunfällen oder durch Beschuß aus den eigenen Reihen, sogenanntes »friendly fire«, umkommen, zählen und zählen zugleich auch nicht. Auch in der Ära des ferngelenkten Krieges gegen die unzähligen Feinde der amerikanischen Macht werden noch Regeln darüber aufgestellt, was die Öffentlichkeit sehen darf und was nicht.“

Damit Krieg einen Nachrichtenwert in unserem Mediensystem erhält und Aufmerksamkeit erweckt, muss er personalisiert und konkretisiert werden. Die Bearbeitung des Materials versucht in die Bilder den Faktor Mensch hineinzubringen, die die moderne Kriegstechnik mit Kameras, Messtechnik und Displays verstellt. Es ist naiv anzunehmen, dass Kriege ohne solche Vorfälle stattfindet und dennoch sind es Bilder, die das für die kurze Zeit, in denen sie in den Medien kursieren, deutlich machen.

Verschiedene medienkulturelle Krisen werden sichtbar. Beispielsweise existiert eine gefährliche Vorstellungen eines ‚entfernten, notwendigen, gerechten, sauberen und humanen Krieges‘, die durch ‚alltägliche‘ Kriegsberichterstattung bestätigt, zumindest jedoch nicht widerlegt wird.

Der selbe Luftangriff erregte 2007 als Wort- oder Textmeldung bedeutend weniger Aufmerksamkeit. Wie wichtig ist die also die Verpackung von Inhalten in einer von Bildern dominierten und kurzlebigen Medienlandschaft?

Die kollektiven, gesellschaftlichen Verdrängungsmechanismen scheinen diese vom WikiLeaks-Team für eine öffentliche Diskussion bearbeiteten Aufnahmen schwieriger zu verdauen, als anders gefilterte Kriegsberichterstattung.

Stärker als in den Artikeln der großen tagesaktuellen Zeitungen sind es Leser-Kommentare in denen immer wieder die Frage enthalten ist, wie die Gesellschaft dieses Material verarbeiten wird:

Kommentar von Sinnfurt

„Vermutlich wird das Thema von den Amerikanern aufgearbeitet in dem Hollywood sich die Filmrechte der beiden Kinder kauft und einen Actionfilm über den Jungen dreht, der den Tot seiner Familie blutig rächt und dafür die Piloten in Amerika aufspürt. Natürlich bekommt der Film dann einen Oscar, weil er sich traut einen Iraker als Helden zu zeigen!“

ManagedDemocracy

„Dafür gehören eigentlich Offiziershälse gekürzt, aber Kirche und
Militär stehen da wohl etwas über dem Recht, gell?“

Loisek

„Das passiert jeden Tag. Das ist jedem klar, der sich Gedanken darüber macht. Wer den Krieg bisher ignoriert hat, dem wird es auch zukünftig egal sein. Viele werden im Schützenverein mit ihren Kameraden gegröhlt haben, am nächsten Tag auf Arbeit wurde Betroffenheit geheuchelt. Nachdem unsere Massenmedien den Fall aufgegriffen und als einmaligen Unfall heruntergespielt haben, kann der Großteil der Bevölkerung im freien Westen wieder zum Alltag übergehen und weiter Botoxbehandlungen von Prominenten im Fernsehen kosumieren. Schön, dass dieses Video zusammengeschnitten und zensiert den Weg in die Öffentlichkeit gefunden hatte (schließlich muß auch der Mainstream auf sowas reagieren) und wenn man es nicht täglich senden muß, hat es auch einen gewissen Mehrwert gegenüber einer Brustvergrößerung, aber es wird sich nicht lange im Gedächtnis der breiten Masse befinden.“

janste

„Beim Lesen kam mir der Gedanke, das Wikileaks eine Methode eines Geheimdienstes sein könnte, Lecks im eigenen Dienst zu identifizieren. Das was ich bisher von dort gehört habe ist zwar schlimm, aber es scheint letztlich doch beherrschbar. Andererseits wird dort auch berichtet wie in Frankreich und Deutschland gezielt manipuliert werden soll um in der Bevölkerung mehr Zustimmung zum Krieg zu erreichen. Seltsamerweise erreicht diese Nachricht in Deutschland nicht die dieselbe Öffentlickeit, wie das Video. Für mich bedeutet das: Den Krieg schonungslos in der Öffentlichkeit darzustellen soll uns für zukünftiges Abhärten, ist also vertretbar. “

Anton969: schreibt unter „Kriegskultur“ zur medialen Halbwertszeit der Aufnahmen: „Überdies demonstriert der Fall, dass verstörende Wirklichkeiten wie diese konsequent vertuscht werden, dass sie nur über Umwege (wikileaks) an die Öffentlichkeit kommen und dass die Berichterstattung in den Leitmedien selbst dann zurückhaltend ist. Gestern wurde zögerlich berichtet, heute ist das Thema medial kaum noch präsent (dass die Süddeutsche heute noch einen Artikel bringt, stellt eine Ausnahme dar; sp, zeit, faz haben nichts mehr, stattdessen geht es um die Ausstattung der Bundeswehr).“

Ich bin wirklich sehr interessiert an Kommentaren und Meinungen zu der Frage von oben: Was gibt es zu sagen, über die, die das „Leiden anderer betrachten“ (S.Sontag). Mit anderen Worten: Wie urteilen wir über uns selber, die wir uns mit diesen Aufnahmen beschäftigen, über sie lesen und schreiben, sie für wichtig halten und doch irgendwie nicht wissen wie wir mit ihnen umgehen sollen. Wir als Individuen und als Gesellschaft. FE

  1. Das ist eine richtig interessante Frage, wie wir über uns selbst urteilen, wenn wir über mediale Bilder vom Krieg schreiben oder gar über den Krieg anhand medialer Bilder.
    Ich denke mir oft, wenn ich Artikel zum Krieg lese:“Das sind alles Leute, die den Krieg nie selbst erlebt haben“ und ich schließe mich mit ein, natürlich habe ich auch keinen Krieg erlebt.
    Wie könnten wir hier in Deutschland überhaupt ein Urteil fällen, wie und ob diese Bilder gefälscht sind und was die Wahrheit im Land und in diesem Krieg betrifft?

    Was würde wohl ein Kind in Afghanistan sagen?
    Ist das nicht die wichtigere Frage? Und dann bemerke ich wieder, dass das in den Medien nicht zählt, Katastrophen sollen möglichst aufgehübscht werden um den Massen verkauft zu werden. Es wird mal kurz drüber gefilmt, möglichst dramatisch, ob es sich nun um den Afghanistankrieg handelt oder einen Amoklauf ist im Grunde unwichtig, hauptsache eine Mutter weint oder ein abgerissener Arm eines Kindes ist zu sehen.
    Und dann noch ein Kommentar, der den Medien und der Politik nutzt:“Wir müssen daran etwas ändern, der Staat schützt“.

    Mir ist dieses Verhalten auch schon im Geschichtsunterricht aufgefallen, dass der Krieg dazu dient, Wissen abzufragen, die Medien machen es genauso. Jeder schaut sich mal kurz an, was gerade in Afghanistan los ist um gut mitreden zu können, um ein Urteil fällen zu können, falls die Kollegen fragen sollten oder der Professor und das war es. Denkt man weiter darüber nach? Was man selbst denken würde, wenn man in dem Land wohnen würde und den Krieg hautnah erlebt?
    Was wäre dann? Wären wir froh über all die Kameras in dem Land?
    Ich frage mich manchmal, wozu das alles gut sein soll, es kommt einem vor, als ob die Wahrheit irgendwo verschollen ist, zwischen all den medialen Bildern, den Kommentaren von Politikern und dem Militär und auch dem der Professoren.

    Es ist eine Frage, warum und wie wir diese Bilder anschauen, wir sehen sie ja tausendfach, sollen sie nicht fast dazu dienen uns müde davon zu machen?
    Sodass wir alle am Ende sagen:“Na ja, es ist ja schon nötig, dieser Krieg, dass jemand eingreift?“
    Berichterstattung ist sicher notwendig, aber wie viele Bilder braucht man dazu und was genau für welche? Und unter welchen Aspekten wählen Reporter die Bilder aus?

    Alles Fragen, die man sich kaum stellt, wenn man die Bilder gerade sieht, aber der Artikel hat mich darin wieder bestätigt, dass man sie sich doch stellen sollte.

  2. Entschuldigung, Irak und Afghanistan natürlich.
    Da sieht man es mal wieder: Man blickt nicht mehr durch;)

  3. Ich wurde 1953 in Dresden gebohren.Wir hatten ausreichend Gelegenheit in Kriegs-Ruinen zu spielen. Als Kind habe ich nicht nachempfinden können,
    was geschehen ist und welche Spuren es in den überlebenden Zeitzeugen hinterlassen hat.
    Meine Generation war die erste, die nicht in einen Krieg befohlen wurde. Welch unglaubliche Bevorzugung das war und zum Glück noch ist, wird mir beim Ansehen solcher u.ä. Berichte und Gedenkstätten bewußt.
    Nach dem II Weltgkrieg gab es wirklich einen Konsens in der Bevölkerung:
    Nie wieder Krieg! Es war, ist und wird niemals ein geeignetes Mittel sein zur
    Kriesenbewältigung gleich welcher Art.
    Ich bin stolz auf meine Mitbürger, die mehrheitlich den von unserer Regierung geführten Krieg in Afganistan ablehnen und gratuliere allen,
    die Zivildienst leisten wollen.
    Das hier sichtbar werdende Demokratiedefizit ist erschreckend.
    Unserer Elite gebricht es an geistiger Reife, denn auch für die „dekadenten“ Römer war Krieg eine politische Option.
    Es ist zwar sehr unwahrscheinlich, doch eine schöne Vorstellung, daß eines Tages Kultur und Vernunft in der Politbranche Einzug erhält.

  4. Das Leiden anderer betrachten: „Come on, let us shoot!“
    Es sind nicht nur die Leiden anderer, es können auch unsere Leiden werden. –
    Schon vor diesen Video machte ich mir Gedanken darüber, wieso es gelingt andere als Nicht-Menschen anzusehen.
    Einige Beispiele:
    – bei den alten Griechen gab es die Sklaven,
    – das Christentum führte die Heiden ein,
    – das faschistische Deutschland sprach den Anders- denkenden und dem jüdischen Volk im Ganzen das Menschsein ab.

    Es gibt Handelte und davon „Betroffene“.
    Erich Fromm hat in seinem Buch „Die Anatomie der menschlichen Destruktivität“ (1973) die Nekrophilie in der Gesellschaft beschrieben. Es reicht ein kleiner Kern aus, wenn er zu Macht kommt, das bei vielen Menschen die destruktiven Charakterzüge zum Vorschein kommen bzw. von ihr davon angezogen zu werden.

    Und da kommen wir schon zum zweiten Teil „Come on, let us shoot!“. Was hält mich davon ab, nicht auch bei der Helicoptermannschaft dabei zu sein ? –
    Es ist brutal festzustellen das diese Mannschaft keine Menschen „real“ sahen, was sie sahen waren nur „Targets“ auf einem Monitor. Diese Technik verstärkt die Grausamkeit der Menschen.
    Auch wenn es nie einen gerechten Krieg geben wird, und der Krieg immer „blutig“ ist, müssen Kriegsverbrecher angeklagt werden und ein Gericht möge ein Urteil sprechen !

  5. Ich habe gerade noch eine schöne Aussage zum Thema gefunden:“Medienwirklichkeit ist immer eine Deutung von Realität, die durch spezifische Selektions-und Interpretationsprozesse zustande kommt“
    (Uta Boyksen/Jutta Brandewiede)

  6. @all: Vielen Dank für die Kommentare,
    Ich habe über Fefe sozusagen zwei grafische Reaktionen auf das Video gefunden (Dank an brat). Die streitbaren Collagen verarbeiten recht zynisch und sarkastisch eine Meinung, die in vielen Kommentaren zum Thema durchkommt, nämlich, dass die U.S. Soldaten die Situation völlig falsch gedeutet haben.
    The United States Army Enemy Combatant Identification Manual
    und
    multiple targets spotted

    Zum Thema ‚Entmenschlichung/Technisierung von Feinden im Krieg‘ hat Harun Farocki 2001 den Film Auge/Maschine gemacht.

    Hier wurde bis jetzt viel Kritik an Krieg im allgemeinen und an der Art und Weise, wie mit Repräsentationen von Krieg (Bilder, Interpretationen, Beurteilungen) umgegangen wird und dem Fakt, dass Krieg immer irgendwie ‚den Anderen‘ zugeordnet wird.
    Ich finde auch, dass in den „Selektions-und Interpretationsprozesse[n]“ derer die Medien machen und derer die Medien wahrnehmen viele Gründe liegen, warum der Umgang mit Informationen zu Krieg sensationsorientiert, kurzlebig, oberflächlich und nicht selbstreflexiv (also quasi ‚fremd-flexiv‘) bleibt.
    Darum die Frage: Wie sollten Medien (dieses Blog?) mit Bildern und Interpretationen von Krieg umgehen? FE

  7. Wie sollten Medien mit solchen Videos umgehen?
    Wie sollte über den Krieg berichtet werden?

    Gute Frage, aber bestimmt nicht so, dass es wie in einem
    Film kurz in einen herzzerreißenden Song gepackt wird, ein
    paar kleine Kinder zerstückelt gezeigt werden und dann
    schnell zu anderen Themen übergegangen wird.
    Kein Format Tagesschau also, in dem alles so schnell wie
    möglich präsentiert werden muss. Man könnte genauso
    gut sich mehr Zeit für ein Thema nehmen und erstmal
    beginnen zu erklären, was für denjenigen, der gerade
    berichtet Krieg bedeutet und wie er den Krieg persönlich
    sieht und dann zu den allgemeinen Ereignissen übergehen.

    Ich glaube es ist wichtig, dass die Menschen direkt wissen,
    dass es keine objektive Sicht auf den Krieg gibt. Wir
    betrachten diesen Krieg aus einer sehr spezifischen Sicht
    und genau das müssen wir wissen, damit wir die Berichterstattung hinterfragen können. Und auch, ob wir
    nicht genauso bereit wären, die Menschen abzuschießen,
    wenn wir denn die Macht dazu hätten. Solche Fragen sollte man
    immer wieder stellen.

    Ganz wichtig dann die Frage:Wieso passiert das und könnte das nicht jedem passieren?

    Bevor man alles verteufelt oder die Menschen als Monster hinstellt, erstmal fragen:Warum handeln sie so und könnte es, wenn die Rahmenbedingungen anders wären, nicht auch hier passieren? Und wenn ja, wie ließe sich das ändern?

    Denn wenn man nicht hinschaut, kann man auch nichts ändern.

  8. Ich habe noch eine spannende, weil für Blogs recht ausführliche Diskussion zum Thema gefunden, in der es um die Frage der Schuld der U.S. Militärs und die Außenpolitik der U.S.A. geht.
    Außerdem habe ich ein entsetzliches ‚mashup‘ Video gefunden in dem Teile des WikiLeaks Materials verarbeitet wurden, seht und lest selbst, wie hier Bilder vom Leiden Anderer ‚verarbeitet‘ wurden.

    Drei Phänomene fallen mir beim Querlesen im Netz auf. Erstens kam mit dem Video dessen Quelle, also WikiLeaks kritisch ins Gespräch, zweitens wird in vielen Kommentaren dem Journalismus eine Krise bescheinigt und drittens, ist die Halbwertszeit von Diskussionen im Internet zu dem Vorfall gering. Nur vereinzelt, wie auf Spreeblick, wird noch diskutiert, während bereits hochfrequent neues, undurchdachtes Bildmaterial entsteht produziert wird.

    Aktualisierung 15.4.20010:

    Ein Josh Stieber schreibt in einem Artikel, dass er 2007 zu den Truppenteilen gehörte, die in dem Video zu sehen sind. Er selbst nahm an der Mission allerdings nicht teil, sondern war in einer U.S.-Basis stationiert. Mit seinem Arikel möchte er eine ‚more complex, honest conversation‘
    führen. Das macht er, indem er das ‚Collateral Murder‘ Video mit einem Kinofilm vergleicht und weist darauf hin, dass es besser mit den Saw-Filmen als mit dem Texas Chainsaw Massacre zu vergleichen ist. Den Grund dafür erklärt er mit einem Bild aus einem der Saw Filme:
    Das Bild kommentiert er mit folgenden Worten:
    „In the SAW movies, characters suddenly find themselves in horrible situations, feeling they have no option but to perpetrate awful acts. The photo from one of the movies above is a character who wakes up to find this machine he’s trapped in, and, if I remember correctly, the key to unlock the machine is stuck in the stomach of a person lying next to him and he most rip open that person’s stomach to retrieve the keys and make it out alive.
    I urge you to be slow to judge those who are trapped in these machines and ask yourself if you did or didn’t do anything to create this trap.We faced threats every single day and naturally, a defensiveness that at times can cross into paranoia will emerge.“

    Und weiter:
    „Like the machine in Saw, we strap deadly machines on idealistic men and women who fight in war. Judging their actions is easy, but to truly find solutions, we need to understand what happens when we’re strapped in these machines. That is where Collateral Murder fails; we need to see the humanity in all, no matter how tight the machines might be holding a person.“

    Das Argument, die Soldaten in den Kampfhubschraubern handelten entsprechend einer Militärlogik taucht in Kommentaren oft auf. An dem Artikel von Josh finde ich bemerkenswert, wie ein Bild aus einem fiktionalen Splatterfilm als Metapher eingesetzt wird, die letztendlich sagen will, dass die Soldaten militärtechnisch und militärkulturell in einem menschenfeindlichen System gefangen waren, woraus er schlussfolgert: „we need to see the humanity in all, no matter how tight the machines might be holding a person.“ Immer wieder tauchen solche und weitere Rückbezüge auf unsere gesammte Bildkultur auf, wenn versucht wird das ‚Collateral Murder‘ Video zu verstehen, zu interpretieren oder ihm einen persönlichen Sinn zu geben. FE

  9. Im Nachhinein ist ein Interview mit Ethan McCord auf Wired.com erschienen. McCord ist der Soldat, der eines der die beiden schwerverwundeten Kinder aus dem Kleinbus vom Ort des Geschehens wegträgt.
    „I did see a video on YouTube after the Wikileaks [video] came out, of the children being interviewed. … When I saw their faces, I was relieved, but I was just heartbroken. I have a huge place in my heart for children, having some of my own. Knowing that I was part of the system that took their father away from them and made them lose their house … it’s heartbreaking. And that in turn is what helped me and Josh write the letter, hoping that it would find its way to them to let them know that we’re sorry. We’re sorry for the system that we were involved in that took their father’s life and injured them. If there’s anything I can to do help, I would be more than happy to.“
    Weiter unten im Interview spricht er über die Witze, die die Soldaten in dem Video machen und über die Rolle von WikiLeaks.
    Gemeinsam mit Josh Stieber verfasste er einen offenen Entschuldigungsbrief, in dem sie die Verantwortung für das Geschehene sich selbst und der U.S.A. Kriegspolitik zuschreiben und die Familien der Opfer um Entschuldigung bitten:

    „Peace be with you.

    To all of those who were injured or lost loved ones during the July 2007 Baghdad shootings depicted in the “Collateral Murder” Wikileaks video:

    We write to you, your family, and your community with awareness that our words and actions can never restore your losses.
    (…)
    Our government may ignore you, concerned more with its public image. It has also ignored many veterans who have returned physically injured or mentally troubled by what they saw and did in your country. But the time is long overdue that we say that the value of our nation’s leaders no longer represent us. Our secretary of defense may say the U.S. won’t lose its reputation over this, but we stand and say that our reputation’s importance pales in comparison to our common humanity. (…)“

    Der Brief wurde bis jetzt von über 3000 Menschen unterzeichnet. FE

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