Über Vuvuzelarisierung und den Beginn einer neuen Weltordnung

Nein, die bisherigen Fußballspiele der WM in Südafrika halten bisher noch nicht, was sich die meisten Fans versprochen hatten. Viel zu wenig Tore, unüblich viele Unentschieden, keine Zauberfußball der Superstars. Was ist denn da los? Ein Blick in die Zeitungen und die Berichterstattung der letzen Woche entlarvt einen ‚afrikanischen’ Teilnehmer der WM als Schuldigen.

Die Vuvuzela ist das Ärgernis der meisten Fußballkommentatoren, die es in der ersten Woche nicht lassen konnten die Fernsehzuschauer immer wieder darauf hinzuweisen, wie grausam diese Form des afrikanischen Fangesangs doch ist. Die Begründungen sind freilich ganz verschieden: da gibt es ein paar Nostalgiker, die sich an wunderbaren Fangesänge in europäischen Stadien erinnern, andere fürchten um die Qualität des Spiels, denn die „nervtrötende Dröhnung“ der Vuvuzelas zerstört die Kommunikation unter Spielern, Trainern und wahrscheinlich auch unter den Kommentatoren. Zuweilen glaubte man wohl, dass mit dieser Kritik, wenn sie nur oft genug gesagt würde, ein Verbot der Vuvuzelas in den Stadien zu erzwingen. Deshalb war es wohl auch nur ein logischer Schritt öffentliche Kritiker zu finden. Und tatsächlich Messi findet die Vuvuzelas nicht gut, auch Bierhoff nicht so richtig und die SPIEGEL-ONLINE-Leser sind auch unbedingt dagegen.

Alle Klagen haben bisher jedoch noch nicht gefruchtet, denn die Vuvuzelas sind hartnäckig, sie dröhnen weiter, wie Bienen in einem Nest. Dass die Forderung eines Verbots einen bedeutenden Widerspruch mit sich bringt, wird scheinbar einfach vergessen. Man stelle sich vor welch enormer Wettbewerbsnachteil entstehen würde, wenn eine solche Änderung erst in der Mitte des Turniers stattfindet. Vielleicht werden deshalb auch die Protestrufe (die im Übrigen fast noch lauter und nerviger sind als die Vuvuzelas jemals sein könnten) mit Beginn der zweiten WM-Woche etwas leiser. Bestimmt aber auch, weil dass „europäische Gehör“ jetzt doch noch anders gerettet werden kann. Die Angst der Fernsehmacher vor dem „Stadion-Tinnitus“ wird durch einen neuen Anti-Vuvuzela-Filter ausgeschaltet. Damit liegt die Kontrolle wieder in der Hand derjenigen die sie scheinbar auch haben müssen. 123,9 Dezibel Vuvuzelatröte werden durch einen Lautstärkeregler einfach wegretuschiert und Fangesänge, die wohl nur wenige Dezibel darunter liegen, werden etwas lauter gedreht. Mit dieser Lösung sollten doch (fast) alle zufrieden sein? „Die Afrikaner“ können weiter ihrem Kult tröten, jedoch nicht mehr ganz so laut, „die Europäer“ hören wieder ein paar Fangesänge, auch wenn mit ungewohnten Unterton und die Kommentatoren bekommen „Lippenmikrofone“ und hören den Stadionton sowieso über ihre Kopfhörer. Da die Vorstellung das Spieler über den Fußballplatz rufen „Hey, schieß mal den Ball rüber“ absurd ist, sollten diese eigentlich auch d’accord gehen und den wütenden Trainer am Seitenrand versteht man so oder so. Alle zufrieden, also?

Nein, denn wir sollten es nicht sein! Nimmt man einen solchen medial-konstruierten Diskurs nämlich ernst, auch wenn es um eine (naja, beinahe) unernste Sache geht, dann sollte dieser unbedingt kritisch hinterfragt werden. Genaugenommen sind die Vuvuzelas eben nicht Gegner des guten Spiels oder der fröhlichen Fangesänge, sondern der Fernsehmacher, Stadienbetreiber und Trommelverkäufer (wer fällt dir noch ein?) die eine Vuvuzelarisierung fürchten. Das Plastikhorn ist auch bei weitem nicht die oft proklamierte Form afrikanischen Fußball zu feiern. ((Leider fehlt bisher jedes Anzeichen einer „Geschichte der Vuvuzela“. Man weiß nur, dass sie ein amerikanisches Produkt ist, welches durch einen pfiffigen (indischen) Geschäftsmann nach Südafrika gekommen ist. Der niedrige Preis spielte bestimmt eine große Rolle, dass die Vuvuzelas in den letzten vier, fünf Jahren in einigen Stadien Südafrikas Anhänger finden konnte. Ihren Ruhm und die weite Verbreitung erhielt sie jedoch erst mit der aufkommenden WM-Euphorie im letzen Jahr.)) Tatsächlich zeigt ein genauerer Blick: in den WM-Stadien tröten alle Nationen, in Deutschland hört man sie in den Kleingartenanlagen und erst recht auf den Public Viewing Plätzen.

Mit Beginn der nächsten Bundesligasaison stehen also zwei Szenarien zur Verfügung. Entweder haben alle genug getrötet und man besinnt sich aufs trommeln und singen, oder, und das ist die wahrscheinlichere Variante, Ööööööööööööööööööööööööööööööööööööööööööööööööö auch in Hamburg, Stuttgart und München (nicht in Dortmund, denn dort haben sie bereits Stadionverbot, aus Sicherheitsgründen!). Aus gutem Grund beginnt man also früh die Vuvuzela zu verfluchen und sie zum Hölleninstrument zu machen.

Der Diskurs um die Vuvuzelas könnte auch auf eine andere Art gelesen werden, zugegeben etwas subtiler, dafür jedoch noch gefährlicher. Denn die scheinbare afrikanische Gelassenheit, der etwas tollpatschige Ausdruck der Freude, der immer wieder (wie oben schon gesagt fälschlicherweise) der Vuvuzela zugeschrieben wird, ist ein Erfolgsmodell. Somit wird die Vuvuzela also auch Ausdruck der Angst vor einer Afrikanisierung der europäischen Fankultur. Schlagen die ehemals Kolonialisierten zurück? Ja, denn die Welt trötet mit und das ist gut so!

Allein die Anzahl der Artikel auf SPIEGEL ONLINE zum Thema sind bemerkenswert:


[1] Leider fehlt bisher jedes Anzeichen einer „Geschichte der Vuvuzela“. Man weiß nur, dass sie ein amerikanisches Produkt ist, welches durch einen pfiffigen (indischen) Geschäftsmann nach Südafrika gekommen ist. Der niedrige Preis spielte bestimmt eine große Rolle, dass die Vuvuzelas in den letzten vier, fünf Jahren in einigen Stadien Südafrikas Anhänger finden konnte. Ihren Ruhm und die weite Verbreitung erhielt sie jedoch erst mit der aufkommenden WM-Euphorie im letzen Jahr.

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