Bildkonjunkturen – Unterwegs auf den Schnellstraßen des Ikonischen (Teil I)

Manchmal lohnt es sich doch ein wenig genauer hinzuschauen. Bilder haben Konjunktur, Bilder repräsentieren Konjunkturen, Bilder sind Repräsentanten ideologisch, politischer Konjunkturen. Sie lassen sich mobilisieren und auf Reisen schicken an Orte an denen sie Sogwirkungen und Spiralen, manchmal infernalische Strudel auslösen können, die eine Gesellschaft an den Rand ihrer funktionalen Ordnungen zu bringen drohen. Der Karikaturenstreit bleibt in aller Munde, ein Indiz dafür, dass die Bilder etwas anrichten, wenn sie zum darüber Reden und vor allem zum Handeln animieren. In den westlichen Gesellschaften argumentieren wir gerne mit dem obersten Gebot der Presse- und Meinungsfreiheit und vergessen dabei scheinbar im Kollektiv den Umstand, dass eine gesellschaftlich, institutionalisierte und in die Welt getragene Meinungsfreiheit auch immer deren heimische Weltanschauung und Moralvorstellung transportiert. Es geht hierbei nicht darum, die wertvollen weil mit nichts aufzuwiegenden Potentiale von Minderheitsmeinungen in Abrede stellen zu wollen. Vielmehr ist zu betonen, dass westliche Medienindustrien und Bilderdistribuierungsinstanzen, Presse- und Meinungsfreiheit hin oder her, vornehmlich gern ein exklusives Package von Mehrheitsmeinungen und Bildern mit kleinem Umfang in Umlauf bringen und fluktuieren lassen.

Wie diese Mehrheitsmeinungen entstehen, würde von hier aus zu weit führen, ein kurzes Beispiel sei jedoch genannt: Friedliche Revolutionen haben in Deutschland Konjunktur, wie der Medienspiegel aus dem Jahr 2009 eindrucksvoll aufzeigt. Aus einem historisch, beschrittenen Pfad für das Eigene, ist eine Meinungs-, Themen- und Bilderkonjunktur entwachsen, die sich nun auch überträgt auf das Fremde, das Entfernte und das Andere. Der leise Abgang der Orangenen Revolution oder die schwellende Opposition in Iran, sie wecken deutsch-deutsche Begehrlichkeiten. Wir wollen sagen: „Tut es uns gleich, seid so erfolgreich wie wir es damals waren. Als wir aufbrachen in eine neue gesellschaftliche Ordnung die vor allem Wohlstand und Angliederung offerierten, in das fluktuierende System freier Meinungs- und Bildkonjunkturen.“

Es sind andererseits aber auch Instanzen der Ordnungserhaltung, der Bestätigung, dass das freie Fluktuieren der Bilder und ihnen immanenten Meinungen der einzige Weg sind, unsere westliche Mehrheitsgesellschaft zu erhalten. Die Ränder an denen die abartigen, die bösen und die schlechten Bilder fluktuieren sind die Grenzen unserer gesellschaftlichen Ordnung. Wenn eine junge Frau dabei gefilmt wird, wie sie vermutlich getroffen von einem ballistischen Geschoss zu Boden sinkt und ihr die letzten Lebensgeister entweichen, dem Blick die Todesstarre einkehrt. Dann sind wir an den abgebildeten Orten angelangt die wir nicht sehen wollen aber müssen, um zu begreifen, dass wir diese Raumzeiten längst hinter uns gelassen haben. Den Armen, den Kranken, den Unterdrückten und den Verfolgten bleiben jedoch nur diese schockierenden Bilder des Dokumentarischen, als einzige Chance um aufmerksam zu machen auf das ihrige Elend. Nur mit diesen bösen, schrecklichen Bildern sind sie in der Lage, in unsere Kreisläufe von außen einzudringen. Wir hingegen können in Umlauf bringen wonach es uns beliebt. Piktorale Verkürzungen und unwahre, als fiktiv klassifizierte und somit geschützte und gesiegelte Harmlosigkeiten die im Kern nichts weiter sind als Degradierungen die Provokation evozieren. Der lässig, feuilletonistische Blick und Zugang zur Welt erlaubt es uns, ins Blickfeld zu rücken, wonach es uns beliebt. Diesen gesellschaftlichen Zustand zu erreichen, dafür haben wir lange gekämpft. Und weil wir im Insgeheimen wissen, wie hart und vor allem zufallsbestimmt dieser Kampf in Wirklichkeit war, glauben wir zu wissen, dass auch alle anderen nichtwestlichen Gesellschaften das Verlangen haben, diesen gegenwärtigen Zustand endlich erreichen zu können.

Doch ist dem so? Bedeutet der Wunsch nach Wohlstand und Freiheit auch den gleichzeitigen Wunsch nach einer freien Fluktuation der Bilder? Bestehen nicht auch Skepsis und Zweifel? Besteht nicht vor allem vielerorts ein tabuisierter, geschützter Blick auf die Bilder? Beruhen nicht oftmals, ganze gesellschaftliche Ordnungen auf dem Prinzip unterdrückter oder zumindest nicht frei verfügbarer Bilder? „Unreine“ Bilder sollten vielleicht gar nicht so frei fluktuieren dürfen, wie man diesseits gemeinhin annimmt.

Vor allem der menschliche Körper hat sich im Kontinuum der fluktuierenden Bilder nachweislich bis zur Unkenntlichkeit dekonstruieren und brechen lassen, ohne dass man ihn besser verstehen, oder im übertragenen Sinne „begreifen“ würde. Den Vertretern der westlichen Welt hierbei eine höhere Bildkompetenz im Bezug auf Körperdiskurse zuzuschanzen, nur weil sie dem Körper in all seinen Brechungen und Öffnungen mehr Bilder und Abbilder gegenüberstellt haben, bleibt gefährlich. Bis ins Pervertierte entseelt und bis zur Unkenntlichkeit deklinierte Körperabbildungen und Bebilderungen erzeugen keinen höheren moralischen Wert ihnen gegenüber. Bilder, desto detaillierter sie sind, erzeugen im Gegenteil vielmehr, einen moralischen Ballast den man so leicht nicht mehr abgeschüttelt bekommt. Gerade auch dann nicht, wenn eine freie Fluktuation die gewünschte Ordnungsinstanz sein soll, die man ihnen gewährt. Genau dazu dienen Tabus, als Schutz vor einer gesellschaftlichen Isolation und Ächtung. Der Weg in die Unabhängigkeit war verlockend, hart und steinig. Der Erhalt eben dieser Ordnung ist es ebenso. Der Preis den wir zahlen ist der, einer konstitutiven Abschottung von einer Welt, der nicht frei fluktuierenden Bilder. Wir führen mit unserer vermeintlichen Freiheit deshalb einen Bilderkrieg oder besser gesagt, einen mit Bildern bewaffneten Konflikt zum Erhalt unserer eigenen systemischen Ordnung. Wir denken mit Vereinnahmung und hinterhältiger Schmeichelei denen gerecht zu werden, die offensichtlich unfrei sind. Dass wir dabei scheinbar gar nicht die Absicht hegen ihnen zum Aufstieg in unseren elitären Zirkel zu verhelfen, soll beim nächsten Mal näher erläutert werden.

Der obige Artikel ist auch auf dem Blog des Autors Kissing und Blankets erschienen.

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